Bernd Goetzke im Rückblick auf 10 Jahre IFF
... ich wollte etwas Neues auf die Landkarte setzen...
Direktor Bernd Goetzke, Motor im Aufbau von Musiktalenten, blickt auf zehn JahreInstitut für Früh-Förderung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover zurück.
Musikalische Begabtenförderung muss im Kindesalter beginnen. Die Anforderungen an ein Musizieren auf höchstem Niveau setzen eine gezielte, vielseitige und stringente Förderung von Anfang an voraus. Dieser Erkenntnis folgte in Hannover die Tat: Im Jahr 2000 wurde an der dortigen Hochschule für Musik und Theater das Institut zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter (IFF) gegründet – mit einem in Deutschland immer noch einmaligen „Früh-Studium Musik“.
Auf Initiative des heutigen Institutsdirektors Bernd Goetzke wurde das IFF in Form eines regulären neuen Studiengangs für Kinder und Jugendliche ab ca. 13 Jahren in den Hochschulbetrieb integriert. Ergebnis eines intensiven Zusammenwirkens der Hochschule für Musik und Theater Hannover, der beteiligten Fachministerien und der Stiftung Niedersachsen.
Das IFF setzt auf Vielseitigkeit und Intensität der Ausbildung, auf individuelle Betreuung und geschickte Nutzung zeitlicher Ressourcen, wozu auch neue Wege in der Abstimmung mit den allgemein bildenden Schulen gehören. Für die nationale Quartalszeitschrift des Deutschen Musikrats "MUSIKFORUM" sprach Hans Bäßler mit Bernd Goetzke.
Begründet sich die Einrichtung Ihres Instituts aus einem erkannten Defizit in der Gesellschaft?
Bernd Goetzke:
Ich scheue mich eigentlich, das Wort „Defizit“ in den Mund zu nehmen. Das klingt so, als sei hier ein Loch gewesen, das nur zuzuschütten war. Tatsächlich handelt es sich aber um langsame, sensible Prozesse, um einen allmählichen Wandel des Denkens, der in der Gesellschaft stattfand und uns einen Impuls gab, den wir aufgenommen haben. Vermutlich haben Sie aber ganz Recht mit dem Hinweis auf ein Defizit. Eines hängt vom anderen ab, die Frage nach Ursache und Wirkung ist also legitim. Im Grunde waren es mehrere, einander ergänzende, sich unheilvoll verstärkende Defizite. Dass tatsächlich Ursachen auf gesellschaftlicher Ebene zu suchen sind, will reflektiert und verstanden sein. Andererseits wären schon Beobachtungen auf der Ebene der „Wirkung“, also der nachprüfbaren Resultate eines Ausbildungssystems, Inspiration genug gewesen für die Initiative unserer Institutsgründung. Letztendlich musste ich einfach den Versuch unternehmen, etwas Neues auf die Landkarte zu setzen. Wir hatten lange darauf gewartet, hatten sozusagen unsere Antennen auf Empfang gestellt und dann gehandelt.
Man muß nur einige wenige Jahrzehnte zurückschauen: Ein Begriff war pervertiert worden, unbrauchbar geworden: „Elite“. Und eine „falsche“ Elite konnte nicht von einer „richtigen“ beerbt werden. Ein Wort verschwand und eine Idee geriet unter Generalverdacht: Dem Besonderen, z. B. dem besonderen Talent war zu misstrauen, jedenfalls war an ein „System“ der Förderung nicht zu denken.
Es bedeutet keine Diskriminierung einer Mehrheit, wenn man eine Minderheit fördert....
Ich empfand eine Art Schockstarre. Diesen Zustand konnte man dann am besten ertragen, indem man ihn ideologisch rechtfertigte:
Es war gut so, Breitenförderung zu betreiben, das Allgemeine über das Besondere zu stellen, die Gruppe über das Individuum.
Aber dann setzte – nach meiner Wahrnehmung – gegen Ende der 90er Jahre ein Umdenken ein. Oder besser: Man begann zu differenzieren. Breitenförderung blieb das A und O, natürlich, aber das eine sollte das andere nicht mehr ausschließen.
Es bedeutet keine Diskriminierung einer Mehrheit, wenn man eine Minderheit fördert. Spitzen- und Breitenförderung schließen sich nicht nur nicht aus, sondern gehören zusammen. Dies war mein Credo, und in dem Moment, als ich dafür eine Akzeptanz spürte, begann ich Pläne für das IFF zu schmieden.
Warum reichte die bisherige Konzeption, nach der hochbegabte Jugendliche als Jungstudenten gefördert werden, nicht aus?
Goetzke:
Qualität, Intensität und Vielseitigkeit müssen zusammenkommen. Reiner Instrumentalunterricht, so gut er sein mag, reicht nicht aus. In Einzelfällen können geniale Instrumentallehrer vielleicht alles vermitteln, aber das ist die absolute Ausnahme. Wer hätte denn auch Zeit dafür? Das Talent muß Wurzeln schlagen, und dazu gehört z. B., dass die Ohren zusammen mit den Fingern (oder der Stimme) ausgebildet werden müssen, das Metrum/Rhythmus-Empfinden – gerade in der gegenseitigen Bedingtheit dieser beiden Parameter – muß gefördert werden.
Und wenn dies früh genug geschieht, verbinden sich alle Bereiche mit- einander, verschmelzen zu einem tragfähigen Fundament für eine Entwicklung, die eben nicht so bald an Grenzen stößt. So schafft man – ganz nebenbei – die Grundlage für ein Berufsleben und für einen „richtigen“ Umgang mit der Musik. Und für diese vielseitige Art der Ausbildung braucht man das Zusammenwirken mehrerer Pädagogen, eben „ein System“.
Welche Hindernisse waren auf dem Weg zur Institutsgründung zu überwinden?
Goetzke:
Im Hinblick auf Hochbegabtenförderung waren und sind auch heute noch Vorurteile und Vorbehalte anzutreffen, auch wenn sie viel schwächer geworden sind. „Den armen Kindern wird ihre Kindheit genommen“, heißt es immer wieder. „Sie sollen doch Spaß haben, mit Freunden zusammen sein und viele Dinge tun, nicht nur eine Sache in dieser Intensität. Der Ernst des Lebens kommt früh genug.“ Es wird gemutmaßt, die meisten Talente seien gar nicht so begabt, sie würden nur von ihren überehrgeizigen Lehrern und Eltern gedrillt, um eigene unerfüllte Wünsche auf die Kinder projizieren zu können. Die Kinder verwahrlosten auf der sozialen Ebene, vereinsamten in der Einzelhaft am Klavier... und so weiter.
Eigentlich haben wir diese Art von Vorwürfen nun genug gehört. Wir haben sie so oft widerlegt und enttarnt als Mangel an Informiertheit, bisweilen auch als ideologische Borniertheit. Wer sind diese Menschen, die so denken und sich äußern? Ihre eigenen Biografien wären auch zu untersuchen. Wie gesagt, hier und da gibt es dieses Denken durchaus noch. Aber Skepsis, die uns entgegenschlägt, hat ja doch auch eine wichtige Funktion. Darin sehe ich eine Prüfung, die wir zu bestehen haben. Traurig macht es allenfalls, dass so vielen Menschen einfach der Überblick fehlt und sie nicht verstehen können, was wir tun. Das können wichtige Menschen sein, etwa auch Schuldirektoren, die im Grunde gar nicht gegen die Sache eingestellt sind. Im Fach Sport ist das anders. Davon glaubt jeder etwas zu verstehen, was sich dann auch in allgemeiner Akzeptanz niederschlägt.
Die alte Erfahrung: Sobald man etwas bewegt, gibt es auch Gegenwind.
Gerade in der Musikhochschule werden Ihre Überlegungen aber doch wohl sofort auf große Resonanz gestoßen sein...
Goetzke:
Eigentlich schon, was nicht heißt, dass es keinerlei Widerstände gegeben hätte, gerade auch von Seiten, von denen ich es nie erwartet hätte. Ich verstand: Sobald man etwas bewegt, gibt es auch Gegenwind. In gewisser Weise war man auch verblüfft, vielleicht deshalb, weil man nicht längst auf so etwas gekommen war. Schon bald gab es wachsende Unterstützung. Viele sagten mir, ihnen sei schlagartig klar geworden, dass die Nachwuchsförderung auf möglichst hohem Niveau der Ast ist, auf dem auch die Musikhochschule sitzt. Wir können uns nicht länger auf die Vorarbeit von Privatlehrern und Musikschulen stützen, auch wenn diese in unserem Land so verantwortlich, flächendeckend und gut betrieben wird wie kaum woanders.
Die wenigen Vorbehalte, auf die ich traf, hatten nichts mit dem musikalischen Konzept zu tun, sie waren eher Reflexe jener gesellschaftlichen Ebene, von der hier schon die Rede war. Und es gab ein paar Empfindlichkeiten, weil ich in meiner Euphorie nicht mit allen und jedem über alles gesprochen hatte, bevor ich es zu Papier brachte. Privatlehrer und Musikschulen hatten zunächst Sorge, dass wir ihnen ihre besten Schüler abspenstig machen könnten. Inzwischen haben sich diese Sorgen verflüchtigt – wir sind Partner, wissen, dass wir in einem Boot sitzen.
Und natürlich: Wir waren im frühen Stadium nicht vorbereitet, es gab keine bereitgestellten Kapazitäten. Diese mussten erst geschaffen werden.
Inwieweit konnten Sie auf Modelle andernorts zurückgreifen?
Goetzke:
Eigentlich gar nicht. Etwas Vergleichbares zu unserem Projekt – der Integration eines Kinder-Instituts als Studien- gang in eine Hochschule – gab es nicht. Doch will ich mich inhaltlich überhaupt nicht als Reformator darstellen. Was zu tun ist, in solch einer Ausbildung, das war mir seit 30 Jahren sonnenklar, da gibt es keine wirklichen Geheimnisse. Dass es getan werden konnte, darauf musste man warten und hoffen – dann handeln. Ich hatte in anderen Ländern ja vieles gesehen (z. B. in Moskau und Tokio). Auch hier gibt es schon Modelle, die inspiriert haben, die aber auch nur bestätigten, was man aus dem eigenen Werdegang kennt oder was man beim eigenen Unterrichten erfährt.
Das „Kleinarbeiten“ von Problemen macht meist den Schwerpunkt der Arbeit an einem neuen Projekt aus. Galt das auch für Sie?
Goetzke:
Ja, das ist so. Man muss die Dinge irgendwie in den Griff bekommen, man kann keine Entwicklungsschritte über- springen. Im Kopf ist man viele Schritte voraus, aber dann kommt die Realität mit ihren Zwängen. Die unendlichen nächtlichen Computer-Sitzungen der Anfangszeit habe ich verdrängt – eigentlich ist das ja immer noch so.
Aber ich darf doch behaupten, dass es damals gelungen ist, sozusagen mit einem Minimalaufwand ein Maximum zu erreichen. Das Konzept war absolut pragmatisch ausgerichtet, wir haben uns auf das Wesentliche konzentriert und nur das Denk- bare gemacht. Damit sind wir auch heute gut beschäftigt. Natürlich ist es ein Problem, dass die Leitung des Instituts nicht mein Beruf, sondern nur mein „Hobby“ ist. Gleiches gilt auch für Martin Brauß, meinen Kollegen und Weggefährten von Anfang an. Wir sind eine etwas zu kleine Familie und haben nicht für jedes Ressort eine professionelle Kraft. „Akademische Selbstverwaltung“ ist die Devise. So sehr weit können wir noch nicht in die Zukunft schauen. Aber die Pionierzeit ist sicherlich vorbei.
Im Kopf ist man viele Schritte voraus,aber dann kommt die Realität mit ihren Zwänge.
Um zu verstehen, was in zehn Jahren IFF geschehen ist, kommen wir nicht um Zahlen herum. Darum: Wie viele Konzerte wurden selbst veranstaltet, wie viele vermittelt?
Goetzke:
Wir hatten in unserem Jubiläumsjahr 2010, das wir intensiv gefeiert haben, sage und schreibe 35 Konzerte auf dem Programm. 17 davon haben wir in Eigenregie veranstaltet, zu den anderen 18 sind wir von externen Veranstaltern eingeladen worden. Dieser Anteil der externen Konzerte überwiegt in anderen Jahren mit etwa 90 Prozent sehr deutlich. Und insgesamt sind es dann auch weniger Termine. Mehr als 25 Konzerte können wir eigentlich nicht schaffen. Dieser Bereich hat sich in einer Weise entwickelt, dass wir eigentlich eine Konzertagentur bräuchten.
Wie viel Unterricht ist in dieser Zeit erteilt worden?
Goetzke:
Pro Frühstudent sind es wohl etwa 100 Stunden pro Jahr, und das Curriculum umfasst drei Jahre. Im Jahr 2000 haben wir begonnen mit zehn Frühstudierenden, dann wurden es sehr schnell 20, inzwischen haben wir fast 40. Und seit 2004 haben wir weitere 40 Kinder in der Vorklasse „VIFF“, die einen ähnlichen Stundenplan haben. Und noch einmal 40 Schüler kommen im Projekt „VIFF regional“ hinzu, in unserer Kooperation mit vier Musikschulen des Landes, die allerdings für den Unterricht selbst verantwortlich sind.
Zusätzliche Unterrichtseinheiten gibt es bei unseren Ferienakademien – die Sommerferien der Hochschule sind ja viel zu lang für Kinder. Hier kommen dann konzentriert noch einmal 25 Stunden in einer Woche für die Teilnehmer hinzu.
Wie viele Schüler haben das IFF insgesamt besucht?
Goetzke:
Pro Jahr haben wir zehn bis zwölf neue Früh-Studierende aufgenommen, also müssten es bislang ca. 100 gewesen sein, ohne die VIFF-Schüler mitzuzählen.
Und wie viel Geld wurde investiert?
Goetzke:
Da nenne ich am besten die „Investitionssubstanz“: Von der Hochschule haben wir ein Büro mit einer Halbtagskraft und eine künstlerische Assistenzstelle („Lehrkraft für besondere Aufgaben“) bekommen, und nicht zu vergessen die Deputatsanteile von Dozenten und Professoren der Hochschule, die nun ihre Klassen sozusagen auch für Kinder und Jugendliche geöffnet haben. Einige Lehraufträge sind hinzugekommen. Und die Stiftung Niedersachsen hat uns mit einer Stiftungsprofessur (Violine) für drei Jahre einen kraftvollen Anschub gegeben. Diese Professur ist nach den drei Jahren von der Hochschule übernommen worden und bildet eine der Säulen des IFF.
Darüber hinaus wurde die Unterstützung, die wir von dritter Seite, vor allem durch Stiftungen, erhalten, immer wichtiger. Unbedingt zu nennen wären hier die Bruno- Frey-Stiftung und die Stiftung Kulturregion Hannover. Diese beiden Institutionen finanzieren z. B. unsere Sommerakademie. Da handelt es sich immerhin um eine fünf- stellige Summe, Jahr für Jahr. Weitere Stiftungen haben einzelne Projekte gefördert, auch ein Lions Club ist dabei – und zwei Menschen haben uns bereits in ihrem Testament bedacht.
So halten wir uns bislang über Wasser. Von Stiftungen können wir uns natürlich keine institutionelle Förderung erwarten. Eigentlich brauchen wir eine ganztags arbeitende Sekretärin und einen Geschäftsführer. Aber das blieb bislang Illusion.
Die Schnittstelle von Schule und IFF wird sich in den vergangenen Jahren aufgrund der Reform der Reform der Gymnasialen Oberstufe sicher nicht verbessert haben. Wie reagieren Sie auf die entsprechenden Probleme?
Goetzke:
Ein wirkliches Problem – allerdings nicht immer und nicht überall. Es gibt einige gute Beispiele von günstigen Konstellationen. Diese sind aber leider nicht die Regel. Die Verkürzung der Schulzeit hat ein schon bestehendes Problem verschärft. Wir haben in unserem Team ja eine Mitarbeiterin für den Bereich „Pädagogische Koordination“, die uns das Kultusministerium sozusagen geschenkt hat – übrigens ein erstaunlicher Vorgang, wenn man sich vor Augen hält, dass wir ja zu einem anderen Ministerium gehören. Diese Kollegin ist dafür da, Konflikte im Spannungsfeld von Schule und Institut zu entschärfen, hier zu vermitteln, zu koordinieren, die Frühstudierenden durch schwierige Phasen zu begleiten, sie zu betreuen, im Einzelfall Problemlösungen zu suchen. Das ist so etwas wie der ständige Versuch der Quadratur des Kreises – aber auch eine ganz wertvolle Initiative, die sogar aus dem Ministerium selbst kam.
Man wollte uns helfen, und das ist wunderbar. Aber überall ist Neuland. Und immer wieder stößt man an Grenzen. „Reagieren“ kann man eigentlich nur mit stetiger Weiterentwicklung von Konzeptionen, an denen beide Seiten beteiligt sind. Wir würden gerne unseren Beitrag dazu leisten.
Sonntagsreden und Montagshandeln sind bekanntlich oft auseinander driftende Dinge, gerade in der Kulturpolitik. Wie haben Sie in den vergangenen zehn Jahren die Umsetzung der positiven Bekenntnisse der Politik zur Hochbegabtenförderung erlebt?
Goetzke:
Hier gilt es zu beurteilen, inwieweit die beiden beteiligten Ministerien nicht nur verbal etwas proklamieren, sondern auch hilfreich mitdenken und unter- stützen. Ich bin ein bisschen bescheidener geworden, was nicht heißen soll, dass ich es gelernt hätte, geduldig und zufrieden zu sein. Zunächst bleibt aber festzuhalten – und dies vergesse ich nie –, dass etwas an einem Platz geschaffen wurde, wo es zuvor nichts gegeben hat, dass wir etwas Anfass- bares in ein Vakuum gepflanzt haben. Dies war ein so entscheidender Schritt! Und er wurde mit konkreter Unterstützung der Ministerien getan. Das ist nicht hoch genug einzuschätzen! Und ein Bekenntnis ist ein Bekenntnis.
Es gibt durchaus einen kontinuierlichen Kontakt mit den Ministerien, z. B. haben wir mit unseren Ansprechpartnern im Kultusministerium schon manche Stunde gemeinsam über mögliche nächste Schritte gebrütet.
Im Übrigen ist klar, daß wir erst einmal eine Bewährungszeit zu bestehen hatten. Das IFF war zunächst nur als sechsjähriges Projekt gedacht, wurde 2004 aber schon fast hymnisch positiv evaluiert – und nun, nach zehn Jahren, darf man sicher behaupten, dass es seine Bewährungsphase bestanden hat. Das IFF war bislang der vielleicht bestmögliche Kompromiss. Ich sehe uns nicht als „angekommen“ an, sondern etwa auf halbem Wege. Immerhin haben wir eine Bewegung angestoßen, die auch andernorts wahrgenommen und aufgenommen worden ist. Die Idee lebt, und das macht mir Mut.
Nach wie vor ist das IFF aber ein schwaches Pflänzchen, das – im Gegensatz zu einem Feigenblatt – aber Wurzeln hat,die es zu pflegen lohnt. Die Perspektive ist noch etwas undeutlich. So hoffe ich nun auf die zweite Dekade, auf die nächste „Umlaufbahn“, wie es ein Kollege kürzlich formulierte.
Der Aufwand lohnt sich – nun gilt es, einen langen Atem zu haben.
Wie sieht es mit der Stipendienvergabe aus?
Goetzke:
Wir haben private Möglichkeiten gesucht. Ein „System“ ist das natürlich noch nicht.
Aber es gibt doch eine Verpflichtung der Landesregierung, junge Musiker im Rahmen von Veranstaltungen zu präsentieren. Funktioniert das nicht?
Goetzke:
Wir dürfen nie vergessen, dass wir ein Ausbildungsinstitut sind. Mit dem „Präsentieren“ müssen wir ein bisschen vorsichtig sein. Wenn wir in Förderprogramme hineinwachsen würden, wäre das jedenfalls ein Glück.
Hat es der Sport wirklich einfacher, wenn er Frühförderung betreibt?
Goetzke:
Ob die Kollegen aus dem Sport vollkommen zufrieden sind, weiß ich nicht. Kürzlich habe ich aber ein Zeitungsfoto von der Einweihung eines neuen Sportinternats gesehen. Viele wichtige Menschen haben sich da die Hand gegeben; u. a. ein strahlender Bürgermeister. Ja, ich denke schon, dass es der Sport einfacher hat. Jeder versteht etwas davon, geht ins Stadion, liest den Sportteil der Zeitung, ist Fan von einem Club und zählt stolz die Medaillen. Vom Sport weiß man, dass er helfen kann, die Jugendlichen von der Straße zu holen und in Gemeinschaften einzufügen, überschüssige Energie sinnvoll abzubauen, dass er den Umgang mit Niederlagen lehren und die Gesundheit fördern kann.
Da ist ein riesiges Interesse, was ganz verständlich ist. Die Medien nehmen diesen Impuls auf und verstärken ihn noch. Der Sport ist nicht nur ein gigantisches Business, sondern für viele Menschen eine der wichtigsten Sachen in ihrem Leben geworden, und sei es aus der passiven Beobachtungsposition heraus. „Schönste Nebensache der Welt“ – wer würde das von der Musik sagen? Aber die ist ja auch keine Nebensache. Fazit: Im Sport werden ganz andere Zahlen bewegt. Entscheidungen für Fördermaßnahmen fallen hier sicherlich leichter.
Persönlich gefragt: Lohnt eigentlich der Aufwand, wenn doch immer wieder neu für ganz elementare Grundbedingungen musikalischen Arbeitens gekämpft werden muss?
Goetzke:
Ich weiß, dass der Aufwand sich lohnt. Das hat das IFF bewiesen. Nun gilt es, einen langen Atem zu haben – über meine Amtszeit als Institutsdirektor hinaus.
Inzwischen haben andere Hochschulen ebenfalls mit der Idee der Förderung von Hochbegabten begonnen. Welche Erfahrungen werden dort gemacht?
Goetzke:
Darüber werden wir uns jetzt immer häufiger austauschen. Überall sind es bestimmte Konstellationen, die Fortschritte möglich oder unmöglich machen. Wir alle müssen dahin kommen, dass die Idee unabhängig von Personen weiterlebt.
Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, wenn jede der 24 deutschen Hochschulen ein eigenes Institut ins Leben rufen würde?
Goetzke:
Ja, aber nur wenn alles stimmt, wenn die richtigen Lehrer da sind, die Infrastruktur, Kapazitäten und Ressourcen. Aktionismus braucht hier niemand. Die Menschen sind heute sehr mobil. Man kann also beispielsweise von unserer Musikhochschule aus Gutes für Kinder tun, die 200 Kilometer entfernt wohnen. Andererseits wäre eine annähernde Flächendeckung an- zustreben. Talente sollten nicht unentdeckt bleiben, nur weil sie fernab von einer Förderinstitution wie dem IFF geboren werden und aufwachsen. Inzwischen kümmern sich bereits 17 der 24 Hochschulen um das Thema – mehr oder weniger intensiv.
Rückblickend: Was hat die zehn Jahre im IFF besonders beglückend gemacht?
Goetzke:
... in diese hellen, unendlich neugierigen und erwartungsvollen Augen der Kinder zu schauen, dieses Vertrauen zu spüren, das sie einem entgegenbringen.
Und eine konkrete Situation aus der Gründungsphase des IFF: Die Chefs unserer beiden Kulturministerien, Renate Jürgens-Pieper und Thomas Oppermann, wie sie vor mir zusammen auf dem Sofa saßen, sich die Hand gaben und sagten: „Das machen wir!“
Und sehr genau erinnere ich mich noch an den Applaus nach dem Abschlusskonzert unserer ersten Sommerakademie. Da spürte ich sogar physisch diese Akzeptanz für „das Neue“, das wir geschaffen hatten, diese Bestätigung nach dem ersten Jahr unserer Arbeit, spürte, das Richtige richtig gemacht zu haben.
MUSIKforum 9.Jg. 1.Ausgabe Jan-März 2011 S. 26-29
Zuletzt bearbeitet: 13.12.2012
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