IFF und Schule - wie gelingt das?

IFF - Schule Interview

IFF und Schule, wie gelingt das?


Musikalisch Hochbegabte sind keine Wunderkinder. Gerade sie brauchen Förderung durch zeitliche Entlastung
.


Claudia Schurz (pressto Ausgabe 2/2006 S.12) sprach mit Christiane Bessert-Nettelbeck, die vom Niedersächsischen Kultusministerium an die HMTH als Koordinatorin für das IFF abgeordnet wurde.

pressto: Seit November 2005 sind Sie am IFF als pädagogische Koordinatorin
tätig, wie kam es dazu?

Christiane B.-Nettelbeck: Ich bin dankbar, dass mir mit der Abordnung
an das IFF der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover im November 2005 eine so anspruchsvolle Aufgabe übertragen wurde.
Mein Kontakt zum IFF besteht seit der Gründung im Jahre 2000, als ich an
einem der drei Partnergymnasien IFF-Studierende der ersten Stunde in Musik und Englisch im Klassenverband und Leistungskurs Musik bis zum Abitur unterrichtete. Dadurch ergab sich für mich, kontinuierlich und in enger Abstimmung mit der Leitung des IFF Fördermodelle zu entwickeln, praktische Erfahrungen direkt umzusetzen und die individuelle Lernentwicklung der IFFStudierenden pädagogisch zu begleiten.

pressto: Was sind Ihre Aufgaben an der HMTH?

Christiane B.-Nettelbeck: Zu Beginn des Schuljahres 2005/2006 wurde
ein neuer Vertrag zwischen der Musikhochschule und dem Land
Niedersachsen über die Förderung musikalischer Exzellenz im Rahmen
des Frühstudiums Musik geschlossen.
Ziel ist es, die Bildungsbedingungen für die Frühstudierenden zu verbessern, Studien vorbereitende Maßnahmen auszuweiten und die Zusammenarbeit zwischen der HMTMH und den allgemein bildenden Schulen zu erweitern und zu intensivieren. Die Kooperation bezieht sich jetzt nicht mehr auf die drei regionalen Partnerschulen, sondern ist landesweit in das Konzept der niedersächsischen Hochbegabungsförderung integriert worden. Die neu dazu direkt beim IFF eingerichtete Koordinatorenstelle wurde mir übertragen.
Die Schulen in Niedersachsen, an denen Frühstudierende des IFF unterrichtet werden, können sowohl den vom Kultusministerium eingerichteten Kooperationsverbünden zur Förderung von Hochbegabung angehören als auch eng mit diesen zusammenarbeiten.
Die erforderliche pädagogisch-psychologische Beratung ist durch die Schulbehörde sichergestellt.
Durch meine Mitarbeit im Beratungsteam „Hochbegabungsförderung" stehe ich im direkten Kontakt und Austausch mit diesen Kooperationsverbünden.

pressto: Einige Musikhochschulen fördern Hochbegabte, was ist das besondere am IFF?

Christiane B.-Nettelbeck: Das Besondere ist das integrative Konzept dieses parallelen Studiengangs. Hier werden hoch talentierte junge Menschen frühzeitig mit großer Fachkompetenz und Verantwortung umfassend angeleitet „gut Musik zu machen", während sie in Ruhe zu Musikerpersönlichkeiten heranreifen können. Anforderungen auf sehr hohem Niveau im Hauptfach werden kombiniert mit einem altersgemäßen, ausgewogenen und vielseitigen musikalischen Lernangebot.
Parallel zu dieser gesamtmusikalischen Ausbildung können die IFF-Studierenden an ihrer allgemein bildenden Schule einen möglichst hochwertigen Schulabschluss erwerben. So wird in Niedersachsen bewusst auf die Unterbringung in Spezialinternaten verzichtet, damit die IFF-Studierenden in ihrem familiären und schulischen Umfeld verbleiben können.
Das IFF-Studium verläuft organisatorisch parallel zur Schule und findet als Blockveranstaltung an der HMTMH statt.
Es ist bemerkenswert, wie sich die IFF-Studierenden in ihren Semestergruppen gegenseitig anspornen, dann sozusagen „auf Augenhöhe" mit gleich gesinnten sind. Zahlreiche Studierende reisen sogar aus anderen Bundesländern für das IFF-Studium an. Die Bereitschaft der Familien zu diesem enormen Einsatz macht auch die besondere Wertschätzung für den IFF-Ausbildungsgang deutlich.
Musikalische Frühförderung durch eine Hochschule in Zusammenarbeit mit allgemein bildenden Schulen entstand beim IFF zunächst für junge hochbegabte Musiker. In Planung ist innerhalb der niedersächsischen Hochbegabtenförderung auch eine Übertragbarkeit in modifizierter Form auf andere Studienrichtungen.

pressto: Wie lässt sich in der Praxis eine Kooperation zwischen IFF und allgemein bildenden Schulen gestalten?

Christiane B.-Nettelbeck: Schulleitungen und Lehrerkollegien müssen detaillierte Kenntnis vom Konzept des parallelen Frühstudiengangs haben. Sie müssen die hohen Anforderungen, sowie die zusätzlichen zeitlichen Belastungen der Jugendlichen kennen. Ich denke, eine Kooperation mit allgemein bildenden Schulen kann vor allem erfolgreich auf der Basis von Akzeptanz, Verständnis und Bereitschaft zur angemessenen Förderung gelingen.
Es ist nach meiner Erfahrung auch erforderlich, im Vorfeld ganz eindeutig einem gängigen Klischee entgegenzutreten: Bei den jungen exzellenten Musikerinnen und Musikern im IFF oder auch in der Vorgruppe des IFF (VIFF) handelt es sich keinesfalls um „Wunderkinder in einer Kaderschmiede mit Drill und Zwang, wo alles von allein läuft und Förderung nicht notwendig ist." Das Gegenteil ist der Fall! Es geht um hochbegabte, motivierte junge Menschen, die sich durch Selbstbestimmung und Leistungswillen auszeichnen.
Nur mit Fleiß und Disziplin lassen sich dauerhaft musikalische Spitzenleistungen erbringen. Dafür benötigen sie eine nachhaltige Förderung, z. B. durch sinnvolle Entlastung, Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und  angemessene Angebote zur individuellen Lernentwicklung . Auch auf die übrigen Schulfächer wirkt sich diese Leistungsbereitschaft positiv aus. Die Frühstudierenden sind in der Regel auch sehr gute Schüler.
Eine erfolgreiche Kooperation zeigt sich durch sehr gute parallele Abschlüsse
im Abitur und in der meist zeitgleich abgelegten IFF-Abschlussprüfung.

pressto: Worin sehen Sie besondere Schwerpunkte bei der schulischen Förderung der IFF-Studierenden?

Christiane B.-Nettelbeck: Es geht prinzipiell darum, sinnvolle Entlastungsmöglichkeiten zu finden, die in verantwortungsvoller Abstimmung die Anforderungen von Schule und Hochschule in Einklang bringen. Das erfordert in jedem Einzelfall Flexibilität und Kreativität und eine kontinuierliche, vertrauensvolle Lernbegleitung des IFF-Studierenden.
Sehr häufig lassen sich durch Wettbewerbe, Konzerte usw. Fehlzeiten in der Schule nicht vermeiden. Hier gilt es, im Dialog mit dem IFF-Studierenden zeitnah nach individuellen Ausgleichslösungen oder möglichen Ersatzleistungen zu suchen. Mit Entgegenkommen der Verantwortlichen lässt sich dies z. B. in einem flexiblen Umgang mit dem Lernstoff, dem Stunden- und Klausurenplan umsetzen.
Durch ihre exzellenten musikalischen Leistungen z. B. am Instrument liefern diese jungen Musiker ein überzeugendes Beispiel dafür, dass sie schon seit langem selbstständig zielorientiert, klar strukturiert und effektiv mit ihrem Pensum und ihrer knappen Zeit umgehen können. Auf den schulischen Bereich bezogen, lässt sich dieses Potenzial an kreativer Eigenverantwortlichkeit und Selbstregulation erfolgreich einbinden.
Im Leistungskurs Musik erfuhr ich, wie sehr die IFF-Studierenden von den übrigen Mitschülern als kompetente Teamführer geschätzt wurden, wie ihr Wissen in partnerschaftlicher Zusammenarbeit allen zugute kam und zu einer Motivations- und Leistungssteigerung innerhalb der gesamten Lerngruppe führte. Dabei wollen die „Iffis" nicht auffallen, sondern in ihren Lerngruppen integriert bleiben.
Dies gelingt vor allem an jenen Schulen, die die besondere künstlerische Leistungsfähigkeit von Anfang an beachten, anerkennen und angemessen in die Leistungsbemessung einbeziehen. Sinnvoll lässt sich eine zeitliche Entlastung der Musiker durch Anrechenbarkeit im Bereich der Arbeitsgemeinschaften gestalten, was auch schon erfolgreich praktiziert wird.
Denn Schule kann vergleichbare außerschulische Leistungen als gleichwertig akzeptieren und anrechnen. Dies lässt sich sowohl auf das musikalische Frühstudium im IFF und der Vorstufe VIFF als auch z. B. auf die sehr anspruchsvolle musikalische Ausbildung im Mädchen- und Knabenchor beziehen. Dabei muss aber gewährleistet sein, dass diese „extern" erbrachten Leistungen auch immer wieder bei Gemeinschaftsveranstaltungen mit in das schulische Musikleben zurückfließen und so der Schulgemeinschaft zugute kommen.

pressto: Welche Aufgaben warten zukünftig auf Sie?

Christiane B.-Nettelbeck: Das IFF ist ja längst sehr erfolgreich. Erweitert wurde es durch eine Vor-IFF Klasse (VIFF) für Schüler und Schülerinnen im Alter von 8-12 Jahren. In diesem Semester werden zirka 25 junge Musiker nach erfolgreicher Aufnahmeprüfung unterrichtet. Parallel zur schulischen Ausbildung ergänzt auch das VIFF am Wochenende den in der Regel extern erteilten privaten Instrumentalunterricht. In kleinen Semestergruppen erhalten sie an der HMTMH eine qualifizierte, altersgemäße Ausbildung in Theorie und Rhythmus.
Zusätzlich werden ihnen zahlreiche Möglichkeiten geboten, eigene Podiumserfahrung als Solisten oder Ensemble zu sammeln. Im Anschluss an die sechs Semester im VIFF können sie eine Aufnahmeprüfung für das IFF absolvieren.
Weiterführende Planungen zur Regionalisierung und landesweiten Verbreitung dieses Konzepts sind bereits angelaufen.
In enger fachlicher Kooperation zwischen HMTMH, Musiklehrenden, Musikschulen und Fachhochschulen soll der Ausbau einer qualifizierten, frühzeitigen Talentfindung und -förderung, möglichst bis ins Kindergarten- und Grundschulalter, in einem (Grundschul-) GrIFF erfolgen. Die Pflege einer breiten und soliden musikalischen Basis muss in der Zukunft ebenso ihren zentralen Stellenwert behalten, damit Spitzenförderung weiterhin sinnvoll und effektiv betrieben werden kann und auch für das notwendige Publikum von morgen gesorgt ist.

 

Zuletzt bearbeitet: 29.11.2012

Zum Seitenanfang